Stellungnahme zum Referentenentwurf eines neunundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (29. BAföGÄndG)
Am 12. Januar 2024 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen Referentenentwurf zur Änderung des Baföggesetzes – dem neunundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (29. BAföGÄndG) - vorgelegt [1]. Im Folgenden nehmen wir zum vorgelegten Entwurf inhaltlich Stellung und verweisen auf unsere politischen Forderungen bezüglich der desolaten materiellen Situation von Studierenden.
Zunächst möchten wir die Dringlichkeit einer BAföG-Reform unterstreichen. Die Folgen steigender Lebenshaltungskosten, eine grundlegend hohe psychische Belastung von Studierenden [2], die durch multiple Krisen zusätzlich herausgefordert wird, sowie die unmittelbare Kopplung der derzeitigen Ausbildungsförderung an spezifische (Studien-)Leistungen sind für uns nicht tragbar und erfordern ein unmittelbares Handeln seitens der Regierungsparteien.
Der vorliegende Referentenentwurf leistet diese notwendige radikale Veränderung der Situation von Studierenden jedoch nicht und bleibt sogar hinter den im Koalitionsvertrag vereinbarten Besserungen weit zurück. Wir schließen uns dem freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V. in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf inhaltlich an.
Der Referentenentwurf sieht unter anderem eine "Starthilfe" von 1.000 Euro als einmaligen Zuschuss für bedürftige Studierende, die Dynamisierung der Finanzierungsperiode um ein "Flexibilitätssemester", eine Ausweitung des Fachwechsels bei Beibehaltung der Förderung vom vierten zum fünften Semester, die Erhöhung der Zuschüsse für die Kranken- und Pflegeversicherung, sowie eine Anpassung des Freibetrags an die Minijobgrenze und geringfügige Erhöhungen der familiären Freibeträge vor.
Dies sind kleine Schritte in die richtige Richtung, welche den Folgen der steigenden Lebenshaltungskosten, dem ständigen psychischen Druck und der sozialen Ungleichheit im Bildungssystem jedoch kaum entgegenwirken. Der BAföG-Höchstatz liegt für Studierende unter 25 Jahren, die nicht bei ihren Eltern leben aktuell bei 812€ [4]. Werden 250€ Kindergeld addiert haben die prekaristiertesten Studierenden etwa 1060€ im Monat zur Verfügung. Mit diesem Einkommen gilt man in Deutschland als Armutsgefährdet. Etwa 410€ geben Studierende im Schnitt für Miete aus [5]. Die übrigen 650€ müssen für Internet, Lebensmittel, Studiengebühren und die Anschaffung von Studienmitteln wie Laptops und Bücher reichen. In Zeiten von steigenden Lebensmittelpreisen, steigenden Mieten und Strompreisen ist diese Summe unzureichend. Insbesondere in Städten mit hohen Mietpreisen ist der Wohnbedarf von 360€ viel zu niedrig bemessen. Hinzu kommt eine hohe Studienbelastung, denn BAföG erhält bisher nur, wer in Regelstudienzeit von 6 Semestern das Bachelorstudium abschließt. Hohe finanzielle Belastungen und eine hohe Studienbelastung wirken sich entscheidend auf das psychische Wohlbefinden der Studierenden aus. Hinzu kommt die Belastung durch politische Krisen und Kriege: Jede*r dritte Studierende ist 2023 Burnout gefährdet und 68% der Studierenden waren 2022 durch Stress erschöpft, Tendenz deutlich steigend [2].
Wer das Bundesausbildungsförderungsgesetzes novellieren möchte, sollte hier ansetzen, den Stress von Studierenden reduzieren und das BAföG an die gestiegenden Lebenshaltungskosten anpassen um die soziale Ungleichheit in der Hochschulbildung nicht weiter zu verschärfen. Die unzureichenden Maßnahmen des vorliegenden Referentenentwurfs sind eine Absage an gute Studienbedingungen.
Wir fordern eine grundsätzliche Abschaffung der zeitlichen Befristung der Auszahlung während des Studiums, mindestens aber muss eine BAföG-Reform die Förderhöchstdauer deutlich erhöhen. Die Einführung eines Flexibilitätssemesters reicht nicht aus, um die multiplen Krisen und die psychische Belastung während des Studiums entscheidend zu verringern. Mit einer Förderhöchstdauer von 7 Semestern kommen nichtmal die Hälfte der Universitätsstudierenden aus. Der Median der Gesamtstudiendauer lag bereits 2020 an den Universitäten bei knapp 8 Semestern [6].
Die neu eingeführte Studienstarthilfe von 1000 Euro ist an Bedingungen geknüpft, die von besonders benachteiligten sozialen Gruppen häufig nicht erfüllt werden können: Hier ist zum einen das Höchstalter von 25 Jahren der Starthilfe zu bemängeln, die starre Begrenzung des Kreises der Bezugsberechtigten auf Leistungsbezieher*innen und der viel zu klein bemessene Beantragungszeitraum von 2 Monaten. Der aktuelle Entwurf unternimmt keine Schritte in Richtung einer familienunabhängigen Förderung. Tatsächlich lassen die geringfügigen Erhöhungen der familiären Freibeträge keinerlei Ambitionen erkennen den Kreis der Bezugsberechtigten substantiell zu erhöhen, obwohl dies aufgrund der über viele Jahre rückläufigen Gefördetenzahlen dringend geboten wäre. Der größte Kritikpunkt am Referentenentwurf ist für uns jedoch die fehlende Anhebung der Bedarfssätze und der Wohnkostenpauschale. Es ist völlig unverständlich warum lediglich 66 Millionen Euro, statt der vom Haushaltsausschuss genehmigten 150 Millionen Euro aufgewendet werden sollen, wenn die Verbesserungen für benachteiligte Studierende so marginal ausfallen.
Studierende warten seit vielen Jahren auf eine BAföG-Reform, die ihren Namen verdient. Vielfach wurden Forderungen formuliert, wie etwa dass die über Jahre stark zurückgegangene Gefördertenquote wieder deutlich erhöht wird, die Bedarfssätze angehoben, und die zahlreichen Ausschlüsse des Berechtigtenkreises aufgrund von Alter, vorangegangenen Abschlüssen und Aufenthaltsstatus aufgehoben werden [7].
Gemessen an den formulierten Erwartungen ist der Referentenentwurf eine herbe Enttäuschung. Selbst die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele wie die Absenkung des Darlehensanteils und die Anhebung der BAföG-Bedarfssätze - sowie des BAföG-Wohnbedarfs werden durch den Entwurf nicht addessiert.
Wir fordern eine echte Kehrtwende in der BAföG-Politik, die den Lebensbedingungen von Studierenden gerecht wird. Noch sind Änderungen am Gesetzesentwurf möglich. Wir appellieren an die politischen Verantwortungsträger*innen ihrer Verantwortung nachzukommen und die Bildungsmöglichkeiten für alle Studierenden zu verbessern. Diese ist fundamentale Voraussetzung für tatsächlich bestehende und erfahrbare Bildungsgerechtigkeit - der sich gerade auch die Regierungskoalition verpflichtet fühlen sollte.
[1] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/29-bafoegaendg-referentenentwurf.html
[2] https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/tk-gesundheitsreport-2023-2149876
[3] https://www.fzs.de/wp-content/uploads/2024/01/Stellungnahme_29BAfoeGAendG_fzs.pdf
[4] https://www.studierendenwerke.de/themen/studienfinanzierung/bafoeg/voraussetzungen-fuer-bafoeg
[6] Autori:nnengruppe Bildungsberichterstattung (2022): Bildung in Deutschland 2022. 2011f.